Den Despoten zum Trotz

Augustus hieß der Kaiser, der über das riesige römische Reich herrschte, als Jesus geboren wurde. Unser Monat „August“ erinnert bis heute an ihn. Was Augustus damals tat oder sagte, hatte Auswirkungen bis in den letzten Winkel seines Reichs. Meist waren die Auswirkungen unerfreulich. Zum Beispiel wenn Augustus seine knallharte Finanz- und Steuerpolitik durchzog und jeden Widerstand dagegen rücksichtlos bekämpfte.
Männer wie Augustus in unserer Zeit zu finden, ist leicht. Es gibt sie in der Wirtschaft und in der Politik. Sie sitzen an langen Tischen und treffen einsame Entscheidungen, die ihre Angestellten in Schrecken versetzen oder ihr Land und manchmal sogar die ganze Welt.
Auch die Weihnachtsgeschichte geht so los: Sie geht mit einer finanzpolitischen Entscheidung los, die Augustus fällt und die tausende Menschen zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Auch Maria und Joseph. Zunächst sieht es nicht gut aus für die beiden. Und das liegt auch an Augustus.
Aber – und das ist das Schöne – im Laufe der Erzählung tritt Augustus immer mehr in den Hintergrund. Er wird unwichtig für die Geschichte. Wichtig wird, wie es der kleinen Familie gelingt, sich durchzuschlagen. Wichtig wird, dass Maria und Joseph ein Dach über dem Kopf finden, auch wenn es nur ein Stalldach ist. Dass Maria die Geburt überlebt und das Neugeborene auch. Dass Engel in Jubel ausbrechen über dieses Kind.
Ich höre die Weihnachtsgeschichte jedes Jahr. Aber ich höre sie jedes Jahr neu. Dieses Jahr höre ich sie als Widerstandsgeschichte. Am Ende zählt nicht der Kaiser in Rom, sondern nur diese kleine Familie mit ihrem Neugeborenen.
Vor einigen Wochen hab ich ein Foto in einer Zeitschrift gefunden. Darauf war ein Garten in der Ukraine zu sehen. In dem Garten befand sich ein Verschlag aus Stein und Holz, bedeckt mit einer Plastikplane. Svitlana hat dort den ganzen Sommer gelebt, nachdem ihre Wohnung ausgebombt worden war. Neben dem Verschlag stand ein kleiner verrosteter Holzofen. Und darauf eine Vase mit Blumen. Wie zum Trotz. Den grässlichen Umständen zum Trotz und den Despoten an ihren langen einsamen Tischen.