Mit Lars Messerschmitt ins neue Jahr

Foto von Tessa Rampersad auf Unsplash

Das Haus Putzen.
Die Steuererklärung machen.
Mit dem Rauchen aufhören.
Das beste Buch der Welt schreiben.
Das ist die To-Do-Liste von Lars Messerschmitt. Zumindest ein Auszug daraus: Buch schreiben, mit dem Rauchen aufhören, Steuer erledigen, putzen, Linas Bett bauen.
Lars Messerschmitt hab ich dieses Jahr in einem Roman kennengelernt. Der Roman heißt „Kleine Probleme“ und beschreibt einen Tag im Leben von Lars. Nicht irgendeinen Tag. Es ist der 31. Dezember und Lars muss noch was erledigen. Und zwar, wie er selbst sagt: „alles“.
Lars ist ein liebenswerter Zeitgenosse, kreativ, phantasievoll, lustig. Aber er hat auch Probleme. Er kriegt viele Dinge einfach nicht auf die Reihe, schiebt sie vor sich her, manchmal jahrelang wie die Sache mit dem Bett seiner Tochter oder die Steuererklärung. Das nervt seine Kinder. Das nervt auch Johanna, seine Frau. Ganz schön nervt sie das.
Und heute, am Silvestertag, spitzt sich die Situation zu. Heute Nacht wird Johanna nämlich von einer Reise zurückkehren. Gegen Mittag schickt sie ihrem Mann eine Nachricht. Und darin steht, dass Lars bitte noch ein paar Geschenke einpacken, das Feuerwerk vorbereiten und schon mal den Nudelsalat für die Silvesterparty machen soll. Und weil Lars nicht gleich antwortet, schreibt Johanna wenige Minuten später: „Vergiss es, Lars. Ich frag jemand anderes.“ Und dann schreibt sie noch: „Mach’s gut, Lars.“
Dieses „Mach‘s gut“ löst bei Lars eine Krise aus. Wie meint Johanna das? Als Abschied? Will sie ihn verlassen? Hat er es verbockt, dieses Mal endgültig? Er beschließt, alles noch zu wenden. Er will es „gut machen.“ Und deswegen schreibt er voller Tatendrang eine To-Do-Liste. Darauf stehen zehn Dinge, die er bis Mitternacht erledigen will: Die Aufträge von Johanna, das Bett seiner Tochter, die Steuererklärung, der Hausputz, das beste Buch der Welt schreiben, Aufhören mit dem Rauchen …  
Und ans Ende der Liste setzt Lars den Vorsatz: „Es gut machen“.
Nachdem Lars diese Liste geschrieben hat, zündet er sich eine Zigarette an und denkt darüber nach, welche Aufgaben sich am besten verbinden lassen und in welcher Reihenfolge er sie abarbeiten soll, er nimmt sein Smartphone zur Hand, um noch mal seine Emails zu checken und auf einmal ist eine Stunde vergangen. Und Lars weiß: Jetzt oder nie.

Haben Sie auch so eine To-Do- Liste wie Lars Messerschmitt? Also, ich hab eine. Ich hab Anfang dieses Jahres eine gemacht und morgen mach ich mir eine neue, für 2024. Ich finde diese Listen nämlich praktisch. Sie verhindern, dass mir etwas Wichtiges durchrutscht, dass etwas verlorengeht, was ich unbedingt in naher Zukunft erledigen muss. So was wie Vorsorgeuntersuchungen zum Beispiel.
Und eigentlich wäre es gut, so überlege ich, wenn nicht nur Lars, ich und ein paar andere so eine Liste hätten, sondern die ganze Welt oder sagen wir die Menschheit. Eine To-Do-Liste, damit uns nichts Wichtiges durchrutscht. Und da stünde natürlich drauf:  All die Kriege beenden, die Welt gerechter machen und dafür sorgen, dass unser Planet bewohnbar bleibt.
Und wenn wir schon einmal dabei sind … Ich würde sogar sagen, dass Gott auch eine To-Do-Liste hat. Auf Gottes To-Do Liste stehen alle seine Verheißungen. Und falls Sie die noch nicht kennen, haben Sie etwas verpasst. Diese Verheißungen sind nämlich wunderschön.

  • Zum Beispiel die, dass eine Zeit kommen wird, in der alle Waffen schweigen, überall auf der Welt und ganz besonders im Heiligen Land.
  • Oder dass es den Menschen, die es im Moment noch schwer haben, einmal richtig gut gehen wird. Also den chronisch Kranken, den Alleinerziehenden, den Menschen mit einem Einkommen, das kaum zum Leben reicht. Sie werden einmal die Glücklichsten von allen sein.
  • Und dann ist da noch die Verheißung mit dem Kind. Dass eine junge jüdische Frau ein Kind zur Welt bringen wird, das alles zum Besseren verändert.

So weit die To-Do-Liste Gottes. Und Lars würde jetzt vielleicht anmerken, dass Gott schon ziemlich lange mit dieser Liste beschäftigt ist und Dinge offenbar auch gern aufschiebt und dass es sich gut anfühlt, wenn Gott die gleichen Probleme hat wie man selbst, wie Lars also. Und ich würde antworten, dass das jetzt doch ein bisschen zu weit geht und Lars sich mal lieber ranhalten soll mit dem Bett und der Steuer und dem Nudelsalat für die Silvesterparty.

Mit Lars und seiner To-Do-Liste geht es mir so: Man denkt die ganze Zeit - das kann er gar nicht schaffen. Die Liste ist zu lang, die Zeit zu kurz und Lars zu sehr Lars. Aber dann folgt man ihm mit angehaltenem Atem durch die 11 Stunden, die ihm noch bleiben bis Mitternacht.
Wie er die Steuererklärung hinbekommt, indem er die meisten Quittungen einfach verbrennt.
Wie er Nudelsalat macht, obwohl er weder Mayonnaise noch eine Packung Nudeln im Haus hat, sondern nur ein paar Fünf-Minuten-Terrinen, aus denen er die Nudeln einzeln herausfischt.
Wie er kurzentschlossen das feucht gewordene Feuerwerk durch Wunderkerzen ersetzt. Schließlich ist ein „Wunder“ auch viel schöner als ein „Werk“.
Man freut sich mit ihm, man leidet, man fiebert mit. Und ich verrate Ihnen jetzt natürlich nicht, wie das Ganze ausgeht, ob Lars es hinbekommt. Aber was ich Ihnen verrate ist, dass ich das Buch zugeklappt habe und dachte: Alles ist möglich.
Und das war ein guter Gedanke, vor allem am Ende dieses grässlichen Jahres. Denn es ist doch so. Gefühlt wird alles immer schlimmer und die To-Do-Liste unserer Welt länger und länger.
Aber der Eindruck täuscht. Manches geht auch voran.

  • Seit Jahrzehnten sinkt die Kindersterblichkeit auf der Welt.
  • Aids ist unter Kontrolle.
  • Die Abholzung des brasilianischen Regenwaldes so gut wie gestoppt.
  • Und vor den Seychellen sind wieder Blauwale aufgetaucht, die größten, zeitweise fast verschwundenen Lebewesen unserer Erde.

Und wenn wir das geschafft haben, können wir das andere auch schaffen.
Aber was ist nun mit Gott und seinen Verheißungen? Ja, da steht auch noch etwas aus, aber immerhin: Dieses jüdische Kind ist geboren. Es liegt in der Krippe und schaut uns an und in seinem Blick liegt die Frage, ob wir im neuen Jahr nicht zusammen das eine oder andere erledigen und ein paar Wunder vollbringen wollen.

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