Osterlieder
Sie kommen aus Cleveland und Nazareth, aus Memphis und vom Gebirge Ephraim.
Sie heißen Nina, Maria, Tracy und Hanna.
Und sie singen.
Hanna vom Gebirge Ephraim singt. Maria aus Nazareth. Tracy Chapman aus Cleveland und Nina Simone aus Memphis. Vielleicht kennt ihr sie ja oder eins ihre Lieder.
Wovon handeln die Lieder, die Frauen gewöhnlich singen? Von der Liebe, nach der sie sich sehnen, die sie gefunden oder wieder verloren haben? Ja manchmal ist das so. Aber Hanna, Maria, Tracy und Nina singen von etwas anderem. Sie singen vom Aufbegehren, vom Aufstehen und Auferstehen. Sie singen von einer Revolution.
Eins dieser Lieder ist heute schon erklungen: Das Lied von Tracy Chapman aus Cleveland. „Talking about a revolution.“
Ein anderes dieser Revolutionslieder hören wir gleich. Hannas Lied. Aber bevor es erklingt, muss man ein paar Dinge über Hanna wissen.
Hanna vom Gebirge Ephraim konnte keine Kinder bekommen. Und das war damals nicht nur ein persönliches Leid (das ist es ja heute immer noch) sondern auch ein soziales Desaster. Frauen ohne Kinder, vor allem ohne Söhne wurden belächelt und abschätzig behandelt, von den anderen Frauen, manchmal sogar von ihren eigenen Männern.
Immerhin: Hannas Mann hält zu ihr, versucht sie zu trösten: „Du hast doch mich. Meinst du nicht, dass du dich mit der Situation abfinden kannst?“
Aber das kann Hanna nicht. Sie hält fest an ihrem Wunsch, an ihre Traum. An ihrem Traum von einem besseren Leben. In ihrer Not wendet sie sich an Gott und schlägt ihm eine Art Handel vor. Hanna betet zu Gott: „Wenn Du mir einen Sohn schenkst, verspreche ich, ihn dir wieder zurückzugeben. Ihn dir zu weihen und der Obhut einer deiner Priester anzuvertrauen.“
Und Hanna wird schwanger und bekommt einen Sohn. Sie nennt ihn Samuel und stillt ihn drei Jahre lang und geht dann zusammen mit ihrem Mann zum Heiligtum von Silo und gibt das Kind dort ab, gibt Samuel in die Obhut anderer Leute.
Und dann, nachdem die Eltern ihr Kind fortgegeben haben, heißt es in der Bibel. Und sie beteten dort den Herrn an. Und weiter: Und Hanna sang:
„Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, mein Horn ist erhöht in dem HERRN. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. Lasst euer großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der HERR ist ein Gott, der es merkt, und von ihm werden Taten gewogen. Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke. Die da satt waren, müssen um Brot dienen, und die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin. Der HERR tötet und macht lebendig, führt ins Totenreich und wieder herauf. Der HERR macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse. Denn der Welt Grundfesten sind des HERRN, und er hat die Erde darauf gesetzt.“
Hanna singt. Es ist ein kraftvolles Lied. Von Freude ist die Rede, von Stolz, von ihrem, von Hannas Stolz, es allen gezeigt zu haben, den Frauen, die über sie gelacht haben, den jungen Männern, die auf sie gezeigt haben. Hanna singt: Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn. Mein Horn ist erhöht in dem Herrn.
Aber ihr Lied bleibt nicht im Privaten. Hanna nimmt das größere Bild in den Blick, die Gesellschaft und ihre Verhältnisse. Und weil sich ihr Leid gewendet hat, sieht sie die Welt mit neuen Augen. Sieht, wie sie sein könnte oder bisweilen sogar schon ist, da wo sich der Himmel spiegelt in unseren Fenstern und Pfützen und Tränen. Hanna singt von der Welt, wie Gott sie ursprünglich gemeint hat und wie er sie wieder haben will.
Hanna singt so wie es viele Jahre später die 14jährige Maria aus Nazareth tut als sie zu ahnen beginnt, was es bedeutet wenn eine wie sie von Gott ausgewählt wird, was es bedeutet für die Welt, wenn junge Mädchen anfangen, Geschichte schreiben.
Und ihr wisst sicher, dass diese neue Welt, von der Hanna und Maria singen
• eine andere ist als die, in der die beiden großgeworden sind
• eine andere Welt als die, in der Nina Simone aus Memphis am Musikkonservatorium abgelehnt wurde, weil sie nicht nur jung und begabt, sondern auch schwarz war
• Eine andere Welt als die in der Tracy Chapmans alleinerziehende Mutter Mühe hatte, den Kühlschrank zu füllen und ihre Kinder satt zu bekommen
• Es ist auch eine andere Welt als die, in der wir Tag für Tag aufwachen
Hanna und Maria und später auch Nina und Tracy singen von der Welt, wie sie sein könnte, sein müsste, wenn es nach dem Willen Gottes ginge: Es ist eine Welt, in der einer wie Putin schon längst im Gefängnis wäre. Eine Welt in der Firmenerben in den Wartezimmern der Arbeitsagentur sitzen und sich fragen würden, ob es dieses Mal einen Job für sie gibt. Eine Welt, in der Alleinerziehende die schönsten und hellsten Wohnungen bekommen, die es in der Stadt gibt. In der kein Kind in die Schule geht, ohne eine gefüllte Brotdose im Ranzen oder Rucksack. In der du die beste medizinische Versorgung bekommst, vor allem, wenn du zufällig im Südsudan geboren wurdest.
Es ist eine Welt, in der du als Frau ohne Angst nachts durch die Straßen laufen kannst. In der dich niemand komisch anschaut, wenn du einen Schleier trägst, sondern dir die Leute im Gegenteil freundlich zulächeln. Es ist eine Welt, in der Synagogen nicht bewacht werden müssen und der Gazastreifen dafür bekannt ist, dass es sich dort so gut lebt.
Von dieser anderen, neuen Welt singt Hanna. Vom Aufstehen und Auferstehen der Verachteten und Hilfsbedürftigen singt sie. Sie kann das, weil sie schon einen Zipfel dieser neuen Welt in der Hand hält, weil sie weit-sichtig geworden ist durch ihre eigene Geschichte. Trotzdem stelle ich mir vor, dass sie geweint hat, wäh-rend sie ihr Lied sang. Ich hätte geweint in ihrer Situati-on, so kurz nachdem ich mein Kind fortgegeben habe. Revolution hin oder her.
Hanna singt ihr Lied von der neuen Welt, in der es nach dem Willen Gottes geht. Sie weint dabei und ihr Mann auch, so stelle ich es mir vor. Und wisst Ihr was? Ich finde, erst dadurch wird Hannas Gesang zu einem Osterlied.
Denn Ihr Lieben, es ist doch so: Ostern ist keine schmerzfreie Angelegenheit. Alles, was davor passiert ist: Die Enttäuschung Jesu über seine Freunde im Garten Gethsemane und wie er ausgelacht wurde von den Soldaten und dann auf Golgatha elend und gottverlassen gestorben ist. All das ist ja trotzdem geschehen, trotz Ostern und es geschieht weiter an so vielen Stellen in unserer Welt.
Und deswegen kann ich die Frauen aus der Ostergeschichte verstehen, die unser Lektor vorhin vorgelesen hat …
Die Frauen, die in aller Herrgottsfrüh zum Grab Jesu gingen und dort auf den Engel trafen, der ihnen Unerhörtes sagt …
Ich kann verstehen, dass diese Frauen nicht in Jubelschreie ausgebrochen sind. Dass sie nicht angefangen haben laut „Halleluja“ zu singen oder „We are the champions“ auf Aramäisch, sondern dass sie wortlos und mit pochendem Herzen weggerannt sind von diesem Friedhof. Zu frisch war die Erinnerung an Karfreitag, zu groß die Angst von den Soldaten und vor Herodes und Pilatus, denn die waren ja alle noch da.
Ostern heißt nicht, den Schmerz für immer abzustreifen oder zu vergessen, was du erlitten hast oder hergeben musstest. Aber Ostern hilft dir, weiterzumachen. Wieder zu glauben. Wieder auf Gott zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, dass sich seine Macht im Scheitern zeigt. Darauf zu vertrauen, dass er sich die Welt anders gedacht hat als sie ist und dass dieses neue Welt schon jetzt in unsere Gegenwart hineinragt.
Mit den Osteraugen wirst du sie sehen, diese neue Welt und vielleicht wirst du davon singen. Mit den alten Worten, mit denen schon Hanna und Maria von dieser Welt gesungen haben. Oder mit dem zornigen Soul in der Stimme wie Nina Simone aus Memphis. Oder so verhalten und leise wie Tracy Chapman mit ihrer Gitarre bis heute von dieser neuen Welt singt. Erst gestern wieder, an ihrem 60. Geburtstag.
Ich hoffe, auch Du wirst davon singen.
