Meine lieben Toten

Image by Albrecht Fietz from Pixabay

In den letzten Monaten bin ich immer mal wieder zu dem kleinen Friedhof auf unserer Straße gegangen. Es gibt dort einen Kastanienbaum, zwei große Birken, einen riesigen Ahorn in der Mitte, Familiengrabstätten, Reihengräber.
Auf den Gräbern leuchten gerade noch die letzten Astern in lila, rot und gelb. In der Mitte des Friedhofs steht eine kleine romanische Kirche. Dahinter ein Wahnsinnsblick auf die Stadt, rote Dächer, die Elbe und der Dom auf dem Berg gegenüber.
Eine Bank gibt es auch auf dem Friedhof. Dort setze ich mich ab und zu hin und warte eine Weile. Und dann stell ich mir vor, dass meine lieben Toten vorbeikommen und sich zu mir setzen, so dass ich mit ihnen reden kann - in Gedanken natürlich.
Als erstes kommt mein Großvater. Mein Großvater ist schon mehr als 20 Jahre tot, aber nun sitzt er neben mir und sieht aus wie früher. Er ist frisch rasiert, seine Haut fühlt sich trocken an und ein bisschen rau. So wie ganz ganz feines Sandpapier.
Worüber wir beide reden, mein Großvater und ich, da auf der Friedhofsbank? Wahrscheinlich über Bücher. Eins seiner Lieblingsbücher war die „Unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Ich mag das Buch auch. Also reden wir über Bastian und Atreju, über Fuchur den Glückdrachen und darüber, dass Phantasien grenzenlos ist.
An einem anderen Tag kommt meine Freundin. Sie ist erst letztes Jahr gestorben. Mit ihr rede ich über die Blumen auf den Gräbern, über das Herbstlicht. Ich frage sie, wie es jetzt so ist in ihrem neuen Zuhause. Sie fragt nach den Kindern, nach meinen und nach ihren. Und dann erzähle ich ihr, dass ich fast jeden Tag an sie denke. Weil ich zum Beispiel Socken in meinem Kleiderschrank finde, die ihre Oma gestrickt und meine Freundin an mich weitergegeben hat.
Und dann eines Tages, ich weiß gar nicht, wie mir geschieht, sitzt George Harrison neben mir auf der Bank. Einer der Beatles. Er hat seine Gitarre dabei. Und erst traue ich mich nicht, aber dann doch und bitte ihn, „Something“ zu spielen. So wie er es gespielt hat als ihm das Lied eingefallen ist. Und danach, als Zugabe – weil es immer wieder hilft – „Here comes the sun“.

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